Oder: die Bürger von Schilda
Suche seine Gegenwart und lasse dich füllen mit dieser radikalen, unverdienten Liebe und Barmherzigkeit. Auch heute. Egal wo du stehst. Jetzt!
„Doch sie waren noch nicht an der Treppe, da purzelten sie auch schon durcheinander, stolperten über fremde Füße, traten irgendwem auf die Hand, stießen mit den Köpfen zusammen und schimpften wie die Rohrspatzen. Die drin waren, wollten wieder heraus. Die draußen standen, wollten unbedingt hinein. Es gab ein fürchterliches Gedränge!“
Wer kennt die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Erzählungen über die dummen Schildbürger nicht, die Bewohner des fiktiven Ortes Schilda, die allerlei sinnentleerte Dinge tun, um ihre alltäglichen Probleme zu lösen, und sich dabei noch größere schaffen? Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die, in der die Schildbürger ein neues Rathaus bauen, um bei dessen Einweihung zu bemerken, dass es drinnen stockdunkel ist und sie so nicht arbeiten können. Kurz bevor sie beschließen, das Haus niederzureißen und neu zu bauen, finden sie den Grund für das Übel, nämlich, dass kein Licht im Gebäude ist. In weiterer Folge versuchen sie, das Licht mühevoll mit Säcken und Kübeln ins Haus zu tragen, rackern sich den ganzen Tag ab, nur um abends festzustellen, dass es im Rathaus noch gleich dunkel ist wie zuvor.
An diese Geschichte musste ich denken, als ich vor kurzem in meiner Gebetszeit im Galaterbrief Kapitel 5 las, in dem es in Vers 16 in der Elberfelder Übersetzung heißt: „Wandelt im Geist, und ihr werdet die Begierde des Fleisches nicht erfüllen.“ Die Reihenfolge, die Ursache und Wirkung in diesem Satz, haben mich sofort angesprochen. Beim Lesen dieser Stelle ist mir wieder neu bewusst geworden: wenn ich mich mutlos fühle im Bezug auf mich selbst und die Dunkelheit der Welt im Allgemeinen, bin ich oft, ähnlich einem Schildbürger, geneigt zu glauben, ich müsse zuerst die Dunkelheit unter großer eigener Anstrengung hinaustragen, bevor das Licht den Raum erhellen könne. Die Wahrheit ist aber, dass diese Reihenfolge die falsche ist. Tatsache ist, dass die Dunkelheit nicht ohne das immer stärkere Hereinbrechen des Lichtes zu entfernen sein wird. Tatsache ist, dass der Heilige Geist mit seinem Licht nicht zur Belohnung in mein Leben kommt, weil ich mich so erfolgreich selbst überwunden und Dunkelheit hinausgeschleppt habe, sondern dass ich den Heiligen Geist zuerst brauche, gerade jetzt, in meine Dunkelheit hinein, genauso wie sie jetzt gerade ist. Über die Demut spricht man mancherorts gern- aber hier braucht man sie in Wahrheit wirklich, um das annehmen zu können.
Über die Barmherzigkeit Gottes gibt es viele wunderschöne Betrachtungen, ja, ganze Bücher und für unsere Tage so wichtige Schriften großer Heiliger wie der Hl Sr Faustyna und der Hl Terese von Lisieux. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir gerade noch bei einem Frischbekehrten gut verstehen können, wie wunderbar die Barmherzigkeit Gottes ist. Bei jemandem, der schon länger mit Gott unterwegs ist, und bei dem der Heilige Geist vielleicht nach und nach dunklere Bereiche ins Licht bringen will, tun wir uns oft schon schwerer, oft auch bei uns selbst. Das will man sich auch selten gerne eingestehen, dass man sich und andere bereits wieder ganz weltlich je nach erbrachter Leistung auf einen Sockel hebt oder niedermacht. Um das Urteil im Bezug auf sich selbst ertragen zu können, redet man sich eventuell dann manches ein wenig schön, oder, sehr verbreitet, wie ich meine, zweifelt ganz tief drinnen vielleicht doch daran, ob Gott einen solchen unfähigen Menschen wie man es selbst ist, wirklich lieben und mit Seinem Geist ausstatten kann. Das ist ein großes Problem, vor allem weil es uns vom Vertrauen zu Gott, von seiner Barmherzigkeit, abschneidet. Wir können diese tiefen und von Gott trennenden Zweifel über uns selbst, im Bezug auf einen anderen Menschen, oder über die ganze Kirche und die Welt hegen.
Die Schildbürger jedenfalls hätten natürlich ganz einfach Fenster in ihrem Rathaus gebraucht. Wir könnten sagen, dass wir in uns Offenheit für das Licht des Heiligen Geistes schaffen müssen. Tief in uns begrabene Zweifel an der Liebe Gottes zu uns, dem Wert des Opfers Christi können bewirken, dass wir nicht mehr zuerst Gottes Gegenwart suchen, wenn wir Dunkelheit bemerken. Wir beginnen eventuell geschäftig, für die gute Sache, vordergründig Säcke zu schleppen, anstatt Platz für den Lichtstrahl zu schaffen, den Gott uns ganz unverdient schenken möchte. Freilich kann es sein, dass wir manchmal auch die Spitzhacke brauchen, um irgendwo selbst von innen Mauern einzureißen, aber auch für diese Erkenntnis brauchen wir zuerst den Heiligen Geist, der uns anleitet, wo wir das tun sollen. Im Wesentlichen wäre also zuerst nur eines nötig: das Bessere, das Maria in Lukas 10,42 gewählt hat. Zeit in Gottes Gegenwart zu verbringen, in der eucharistischen Anbetung, oder einfach nur zuhause, mit dem Wort Gottes in der Hand.
Ja, sagen wir schnell: “Das ist eine Binsenweisheit!” Aber ganz ehrlich- TUN wir das auch tatsächlich und als erstes, wenn wir uns verloren und bedrängt fühlen? Aus unserer Kindheit, unseren Erfahrungen heraus, haben wir uns vielleicht viele andere Dinge angewöhnt, um mit dem Schmerz über das eigene Versagen oder dem unserer Gegenüber vordergründig umzugehen. Der Mensch kann immens viel Zeit damit verbringen, Säcke zu schleppen, bevor er eventuell völlig erschöpft aufgibt und aus tiefstem Herzen schreit: „Barmherziger Gott hilf uns, wir brauchen Dich und Deinen Geist, genau jetzt und hier“- und in diesem Gebet, Schrei und Vertrauen auch bleibt- mit dem Blick fest auf Jesus gerichtet, egal was da kommen möge. Ebenfalls kann man, vor allem als Mensch mit gewisser Erkenntnis, immer noch viel Zeit damit verplempern, über diejenigen zu schimpfen, die da sinnlos Säcke schleppen- und hat dabei noch immer prima selbst vermieden, sich dem Licht Gottes auszusetzen.
Immer und immer wieder müssen wir in die Wahrheiten im Reich Gottes eintauchen, die so sehr dem Denken der Welt widersprechen. In Christus ist der Sieg, auch wenn es mit weltlichen Augen wie Torheit scheinen mag, auf Sein Licht zu vertrauen und Ihm Raum zum Wirken zu geben.
1 Joh 4,19 Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.
ER.HAT.UNS.ZUERST.GELIEBT.
Er liebt uns immer noch zuerst, er ist treu. Seine ganze Kirche, in allen Wirren unserer verrückten Zeit. Er liebt uns. Aus dieser Liebe fließt alles andere, alle Veränderung, alle Kraft. Am Anfang unseres Weges, in der Mitte, und am Ende. Immer brauchen wir es, zuerst seine Vergebung, seine Liebe, seine Barmherzigkeit zu empfangen, sich Zeit zu nehmen, sich diesem Licht auszusetzen, von diesem Wasser immer wieder neu zu trinken, uns darin zu baden wie ein kleiner glücklicher Vogel im Teich. Niemals wird es etwas nützen, vor Seiner Gegenwart davon zu laufen und Säcke mit Dunkelheit zu schleppen.
Suche seine Gegenwart und lasse dich füllen mit dieser radikalen, unverdienten Liebe und Barmherzigkeit. Auch heute. Egal wo du stehst. Jetzt!
BeneDicta
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