Radikale Nachfolge – Teil2
Das Gleichnis von der Perle – und eine Gegengeschichte
Was kann einen Menschen zu solch radikaler Nachfolge bewegen? Diese Frage bricht auf an den Lebensgeschichten eines Maurice Reuben und Rees Howells, von Franziskus und Antonius und bei den Jüngern, die auf den Ruf Jesu hin alles stehen ließen und Jesus folgten. Halten wir uns für eine Antwort zunächst an den ausführlichen Text über Reuben: Den Anfang bildete nicht eine radikale Aufforderung, sondern eine Erfahrung von göttlicher Fülle. Für Reuben war es das Lebensbeispiel eines seiner Kunden, dessen glückliche Ausstrahlung ihn in Unruhe versetzte. Für die Jünger der Evangelien war es die Begegnung mit Jesus, die ihnen eine Erfahrung der Fülle erschloss, die ihnen bisher unbekannt war. Derartige verheißende Erfahrungen sind das, was Jesus im Gleichnis als Schatz und Perle bezeichnet:
„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie.” (Mt 13,44-46)]
Ein solches Verhalten mag riskant sein, es ist aber nicht unvernünftig. Doch bedarf es einer Entscheidung, eines mutigen Schrittes, der auch misslingen kann. Das zeigt uns die Geschichte vom reichen Jüngling. Die Aufforderung, er soll all seinen Besitz weggeben, wäre für ihn so unzumutbar wie für jeden von uns, – wenn ihr nicht etwas Entscheidendes vorangegangen wäre: eine intensive Begegnung mit Jesus, die Markus mit den Worten beschrieb: „Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte…” – Die Erfahrung von diesem liebenden Blick ist die eigentliche Grundlage für jeden echten Nachfolgeruf. Diese Erfahrung von Gottes Liebe befähigt zum Schritt in die Nachfolge und macht deshalb den Ruf zur radikalen Nachfolge zumutbar. Im Vergleich zu dieser wahren Fülle ist jeder irdische Reichtum hohl. Und weil der reiche Jüngling das spürte, ging er traurig weg.
Immer wieder hat es in der Geschichte des Christentums Versuche einer radikalen Nachfolge ohne diese begründende Heilserfahrung gegeben. Wenn Heilige wie Helden gefeiert werden, dann kann das Menschen dazu verführen, es ihnen gleich tun zu wollen. Oder wenn Heiligengeschichten von den Gnadenfüllen schwärmen, mit denen Heilige überhäuft wurden, dann kann die Sehnsucht nach diesen Gnaden Menschen dazu verlocken, gleiche Wege einschlagen zu wollen. Gute geistliche Begleiter werden hier bremsen, während unfähige Prediger die Mittel einer unzulänglichen Motivation gezielt einsetzen, um ihren seichten Moralismus zu unterfüttern. Wer sich unberufen auf den Weg der Nachfolge begibt, gerät in große Gefahr, sich in eine gefährliche Perversion des Gleichnisses vom Schatz und der Perle zu verfangen:
Ein Mann hatte einen ansehnlichen Besitz, und – im Blick auf das schöne biblische Gleichnis vom Schatz und der Perle – sagte er sich: So wie dieser biblische Mann will ich meinen ganzen Besitz weggeben. Dann werde ich dafür gewiss eine wundervolle Perle bekommen. Er ging hin, gab seinen ganzen Besitz weg und trat in einen Mönchsorden ein. Dort aber fand er die verheißene Perle nicht. Im Gegenteil: Anstatt Freude und Liebe zu finden, begann er neidisch zu werden auf alle Menschen, die ein Strahlen im Gesicht hatten, – Zeichen der echten Perle – ohne dass sie so viel weggegeben hatten wie er. Und um nicht ganz wie ein Narr dazustehen, beschloss er so zu tun, als hätte er die Perle gefunden. Als Prediger wurde er recht erfolgreich. Nicht wenige folgten seinen Versprechungen und traten in denselben Orden ein. Aber als geistlichem Führer kam ihm sein Neid in die Quere: Ein echtes Strahlen war für ihn unerträglich, und ohne es sich ganz einzugestehen, tat er alles, dass seine Schüler auch nicht mehr hätten als er: eine ansehnliche Kopie der wahren Perle.
Die Pointe des biblischen Gleichnisses besteht darin, dass der Mann zuerst die Perle gefunden hat, um dann alles dafür wegzugeben. So kann die Perle für das stehen, was sie eigentlich bedeutet: eine unverdiente Gnadenerfahrung. Wenn jemand viel weggibt, um so diese Perle zu erhalten, dann ist er damit nicht nur erfolglos, er blockiert sogar eine mögliche Gnadenerfahrung. Oft will Gott uns beschenken, aber er kann es nicht, weil wir dieses Geschenk nicht als freie Liebesgabe annehmen würden, sondern als etwas, worauf wir einen Anspruch haben. Wir verwechseln die Gabe mit dem Geber und schneiden uns so von Gott und der Fülle seines Heils ab. Die Gabe wird uns zum Gericht. So ist der religiöse Leistungsmensch mit seiner versuchten radikalen Nachfolge unter Umständen schlimmer dran als jemand, der gar nichts gegeben hat.
Fortsetzung folgt
Halt finden in einer verrückten Welt
Wie kaum eine Epoche vor uns ist unsere Lebenswirklichkeit von der Auflösung gewohnter Strukturen geprägt. Seit langem bestehende Normen und Werte werden in Frage gestellt. Besonders wir Christen blicken deshalb oft sorgenvoll in die Zukunft. Wie gehen wir am besten mit dieser Verunsicherung um? Wie uns die sieben Gaben des Heilige Geists Orientierung in Zeiten großer Veränderungen geben können.
Zehn Lügen, die viele Christen von sich glauben.
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Radikale Nachfolge – Teil3
Jeder Mensch ist dazu bestimmt, in Gottes Herrlichkeit einzugehen