Jesus is a friend of mine
„Jesus is a friend of mine” lautet ein Songtitel der amerikanischen Sakropop-Band “Sonseed”. Gott – jedermanns Freund? Ist das überhaupt möglich? Für viele Religionen rangiert der Gedanke, dass ein Mensch mit (einem) Gott befreundet sein könnte, irgendwo zwischen fragwürdig und blasphemisch. Götter sind in der Regel zu fürchten und zu beschwichtigen – mit Opfern. Man unterwirft sich ihnen. Wie ist das im Christentum? Ist Jesus der Freund aller Menschen?
Dass wir als Christen in Bezug auf Gott überhaupt in Kategorien wie „Freundschaft” denken, ist zumindest religionssoziologisch bemerkenswert. Denn auch im Christentum sprechen wir von einem Gott, von dem wir glauben, dass er das Weltall mitsamt Naturgesetzen und Geschöpfen, von der Amöbe bis zum Menschen, gemacht hat.
Karikaturen von Christus-Freundschaft
Viele geistliche Lieder der letzten sechzig Jahre, vor allem Kinderlieder, thematisieren sehr niederschwellig Gottes Liebe, die Freundschaft mit Gott und unsere Gottesbeziehung im Allgemeinen. Bei vielen spürt man das religionspädagogische Bemühen, allem, was als Drohbotschaft aufgefasst werden könnte, mit Harmlosigkeiten entgegenzuwirken. Das mag bei Kindern angemessen sein, bei mir hat das spätestens als Jugendlicher bzw. junger Erwachsener eher Ratlosigkeit ausgelöst.
Ebenso ratlos und zugleich amüsiert hinterlässt mich folgender Song aus den späten 70er Jahren, der sich, dem Stil nach zu urteilen, wohl nicht primär an Kinder richtet: „Jesus is a friend of mine” ist ein Song, der es immer wieder durch die sozialen Netzwerke schafft, weil er treffsicher den Cringe-Spot trifft. Mich zumindest befällt beim Betrachten der katholischen (!) New Yorker Sakropop-Band „Sonseed” Fremdscham. Das ist stilistisch etwas zu gut gelaunter, optisch züchtig gezähmter Ska-Punk mit einem fromm-narzisstischen Frontmann und seine um Lockerheit bemühten Freunde. Das Video erscheint wie ein Versuch, Jesus als lockeren Kumpel zu verkaufen. Und hier setzt das Fremdeln ein. Es fühlt sich unecht an. Man ahnt die fromme Absicht, einen staubigen Ladenhüter aufgepeppt per Dumpingpreis unters Volk zu bringen.
„Jesus is a friend of mine” von der New Yorker Sakropop-Band „Sonseed”.
Aber wann und wo ist das in der Christus-Freundschaft gelebte Evangelium, für die im ersten wie im letzten Jahrhundert viele Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben, plötzlich zum staubigen Ladenhüter geworden? Kann es sein, dass es neben der vielbejammerten Säkularisierung auch mit einem Jesus-Bild wie diesem – Jesus ist jedermanns Freund – zu tun hat?
Christus-Freundschaft für George Weigel
Laut dem US-amerikanischen Theologen George Weigel lernten Katholiken und Protestanten traditionell seit der Reformation allem voran ÜBER Jesus. Die Glaubenslehre war einer Christusbeziehung in einer christlichen Kultur vorgelagert. In unserer postmodernen und postchristlichen Gesellschaft greift solches Lernen aber nicht mehr, so Weigel. Sie wird ohne Christusbeziehung schlicht nicht mehr angenommen. Sie perlt ab. Oder wie es die Autorin Sherry Weddell formuliert: Wer nicht glaubt, dass eine Beziehung zu Gott möglich ist und diese anstrebt oder unterhält, für den gibt es wenig plausible Gründe, den Gottesdienst zu besuchen. Positiv ausgedrückt: In den Gottesdienst kommt, wer eine Gottesbeziehung sucht.
Eine Erneuerung im Geist des Evangeliums – sowohl beim einzelnen Gläubigen als auch innerhalb der Kirche – muss laut Weigel daher bei der Jesus-Begegnung ansetzen. Christus kennenzulernen und ihn als persönlichen Freund anzunehmen, wird zum Ausgangspunkt für ein christliches Leben und letztendlich auch für die „Erneuerung der Kirche“. In seinem gleichnamigen Buch nennt er diesen Punkt auch als ersten von zehn zentralen Erneuerungsfaktoren.
Wie geht nun Freundschaft mit Christus?
Erst durch die Freundschaft mit Christus wird der liebende Vater erkennbar, der den Menschen dem verlorenen Sohn gleich aufrichtet, in seiner Würde wiederherstellt und aufnimmt. Erst hier geht dem Freund Christi die Liebe innerhalb der Dreifaltigkeit auf, die Gemeinschaft radikaler Hingabe und Annahme.
Ausgehend davon wird die Freundschaft mit Christus als gottgegebenes und einziges Heilsmittel für alle erkannt, statt als spirituelles Angebot unter vielen. „Evangeliumschristen” (Weigel, S. 57*, Übersetzung des Autors) bekennen, dass das Evangelium vom Sohn des Höchsten, der im Fleisch und in der Geschichte gekommen ist, von der Jungfrauengeburt bis zur Auferstehung wahr ist. Sie sind sich bewusst: Das Bekenntnis zu Christus als Herrn und die lebensverwandelnde Freundschaft mit ihm sind ein zutiefst gegenkultureller Ansatz, so Weigel (S. 59).
No friend of mine?
Wenn wir den Song „Jesus is a friend of mine” als Karikatur empfinden, was ist dann echte Freundschaft mit Christus? Wer das Evangelium liest, der spürt: Der Kumpel auf Augenhöhe ist Jesus nicht. Jesus ist nicht harmlos.
Die Forderungen Jesu sind nicht niederschwellig. Gibt es eine höhere Schwelle, als diejenige, die Jesus in Wort und Tat vorgibt, wenn er spricht: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt”? (Lk 15,13) Oder wenn er in der Bergpredigt sagt, nachdem er die Forderungen der zehn Gebote noch verschärft hat: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“? (Mt 5,48) Christus knüpft die Freundschaft an eine Bedingung: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.” (Joh 15,14)
Diese Strenge bedeutet für viele eine Hürde. Aber sie ist Teil des Evangeliums und Teil der herausfordernden Liebe Christi selbst. Diese Hürde erträgt und überwindet nur derjenige, der Christus zuerst in seiner Liebe begegnet ist. Die Hürde zu überwinden ist dann auch kein heroischer Akt eines moralischen oder elitären Leistungschristentums, sondern Hingabe und gläubige Antwort auf den, der uns zuerst geliebt hat.
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